Artikel vom 30. Juni 2009, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Passauer Neuen Presse/ Alt- Neuöttinger Anzeiger, Ernst Deubelli
Kritische Blicke auf neuralgische Punkte im Traum von einer Trans-Europa-Magistrale −Tragfähiges Gesamtkonzept ist trotz 25 Jahren Versprechungen nicht in Sicht
München/Mühldorf. Die Diskussion um den Ausbau der Bahnverbindung von Mühldorf nach
München hat aktuell wieder Nachdruck erhalten−durch eine Konferenz in Ampfing, durch eine Pressemitteilung der SPD (der Anzeiger berichtete jeweils) und durch Entwicklungen außerhalb, aber
mit potenziellem Einfluß auf mögliche Bahnprojekte in der Region.
Objekte der Begierde:
Die Bahnstrecken von Salzburg nach Mühldorf, von Burghausen nach Mühldorf und weiter nach München sollen zweispurig ausgebaut und elektrifiziert werden. Außerdem soll von der Stammstrecke Mühldorf-München bei Walpertskirchen eine Spange zur S-Bahnstrecke nach Erding und diese SBahnstrecke
über den Flughafen nach Freising fortgeführt werden.
Rückblick:
Die Trasse von Mühldorf nach München ist seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts (!) zum zweispurigen Ausbau vorgesehen. Bis 1899 verkehrte hier der Orientexpress von Paris nach Istanbul. Auch die Strecke
von Mühldorf nach Salzburg ist als nördliche Zulaufstrecke zur Tauernbahn, die Salzburg mit dem Hafen
Triest verbindet, von Anfang an zum zweispurigen Ausbau vorgesehen. Die Strecke von Mühldorf
nach München besteht seit knapp 140 Jahren, die Strecke von Mühldorf nach Salzburg seit gut 100 Jahren.
Gefahren wird einspurig.
Ausblick:
Eine einheitliche Nachrichtenlage über tatsächliche und Schlagzeilen-Projekte ist nicht gegeben. Zu viele Einzelvorhaben und detaillierte Gesamtpläne, die allerdings nicht in Deckung zu bringen sind, stehen im Raum und das ohnehin oft auf der Basis von Wunschdenken.
Laufender Ausbau:
Tatsächlich wird bereits seit ein paar Jahren im Abschnitt Mühldorf − Ampfing zweispurig ausgebaut.
Laut Zusage des Generalbevollmächtigten der Bahn in Bayern, Klaus Dieter Josel, in einer Pressekonferenz mit der damaligen bayerischen Wirtschaftsministerin Emilia Müller im Dezember 2007
in einem Sonderwaggon von München nach Mühldorf sollte noch 2009 mit dem Ausbau der Strecke
zwischen Mühldorf und Tüßling begonnen werden. Der Abschnitt schien bereits zu Beginn der 90er
Jahre akut, wurde aber wegen des Ausbaus der Infrastruktur in den neuen Bundesländern zurückgestellt.
Für Projekte im südöstlichen Oberbayern fehlte das Geld.
Engpass bei Tüßling:
In diesem Abschnitt liegen die Bahntrassen von Burghausen nach Mühldorf, von Salzburg nach
Mühldorf und von Trostberg nach Mühldorf auf bislang einem Gleis.
Abgesehen von den Personenzugverbindungen wird dieser Abschnitt vor allem von einer zunehmenden
Anzahl von Güterzügen benutzt. Eine Aufstellung der Initiative ChemDelta Bavaria zur Streckenbelastung
zwischen Burghausen und Mühldorf zeigt für das Jahr 2006 im Abschnitt Burghausen − Kastl täglich 12 Regelgüterzüge, im Abschnitt Kastl − Tüßling 19 Regelgüterzüge und im Abschnitt Tüssling − Mühldorf 24 Regelgüterzüge. Für das Jahr 2015 wird gemäß dem von der Bahn im Jahr 2007 präsentierten Masterplan
Güterverkehr ein Anstieg erwartet − auf bis zu 40, 61 und 66 Güterzüge je Tag in den jeweiligen Abschnitten.
Alte Perspektive:
Zumindest von Politikern aus SPD und CSU wurde über Jahre hin der zweispurige Ausbau einschließlich
Elektrifizierung von Burghausen über Mühldorf nach München und ebenfalls von Salzburg nach Mühldorf
heftig in Aussicht gestellt. Auf dieser Trasse sollten dann nicht nur die Pendlerzüge nach München
fahren, sondern auch neue Trans-Europa-Expresszüge, die Paris mit Budapest über Mühldorf
und Salzburg verbinden (sollen). Diese Vision geistert seit rund 25 Jahren durch Reden und Verlautbarungen. Der ursprünglich zweispurig geplante Ausbau ist inzwischen auf drei zweispurige Ausweichabschnitte zwischen Tüßling und Markt-Schwaben geschrumpft. Und wo hakt es?
Trassenführung
der Magistrale über München oder über den Flughafen München? Ursprünglich war der Flughafen favorisiert. Die Magistrale sollte über Pasing aus den Städten Augsburg, Ulm, Stuttgart und deren Hinterland im Westen und aus Salzburg im Südosten möglichst viele Passagiere zum Drehkreuz (im weiteren Aufbau) München transportieren. Dann durchkreuzte der Traum vom Transrapid, der den Münchner Hauptbahnhof an den Flughafen anbinden sollte, den Traum von der Magistrale. Die wiederum
geriet − mit Blick auf den Flughafen − geistig aufs Abstellgleis, wenigstens vorübergehend. Jetzt wird
sie wieder über den Flughafen diskutiert, wie Flughafenchef Dr. Michael Kerkloh im Februar erklärte.
Flughafenbahn
ins südöstliche Oberbayern: Krise her oder hin, der Flughafen München hat sich seit seiner Ansiedelung
zwischen Erding und Freising zu einem Wachstumsmotor und einer Job-Maschine ohnegleichen −
auch durch seine Anziehungskraft auf Niederlassungen internationaler Unternehmen−entwickelt.Um
Siedlungsdruck vom Umland zu nehmen und die Arbeitsmöglichkeiten am Flughafen auch für das
südostbayerische Hinterland erreichbar zu machen, wurde vor rund fünf Jahren die Initiative
Flughafenbahn ins Leben gerufen, um von Mühldorf aus über die mittlerweile eingleisig diskutierte
Walpertskirchner Spange Pendlerzüge zum Flughafen und weiter nach Freising verkehren zu lassen.
Nutzt die Magistrale hier die einspurig konzipierte Pendlertrasse?
Engpass Heimstetten:
Der Abschnitt zwischen Markt Schwaben und München−Ost der Stammstrecke München − Mühldorf,
bereits zweispurig ausgebaut und zusätzlich mit S-Bahnverkehr belastet, sollte im Fall der Regionalbahnanbindung über die Walpertskirchner Spange vierspurig ausgebaut werden. Dabei gibt es
ebenfalls zwei Varianten der Überlegungen. Einmal sollten zwei SBahnspuren über das neue Messezentrum in Riem geführt werden und einmal nicht. Die Idee mit der Anbindung des Messezentrums
klingt verlockend. Aber: Für eine oberirdische Trasse ist hier wenig Platz und eine unterirdische Trasse
ist problematisch, weil es dort offenbar viele Altlasten − mit Bomben- und Bauschutt verfüllte Gruben aus der Nachkriegszeit − gibt, wie aus den Tiefen der Bahnverwaltung zu erfahren ist. (Historische Luftaufnahmen vom alten Riemer Flughafen bestätigen das.) Auch ein vierspuriger Ausbau der
bestehenden Trasse zwischen Markt Schwaben hat seine Tücken. Vor wenigen Jahren − vielleicht
hatte damals gerade die Flughafenvariante der Transeuropa- Magistrale Konjunktur−wurde
da links und rechts zum Beispiel in Heimstetten fleißig gebaut.Obdiese teueren Bauten nun einem Ausbau
im Wege stehen? Oder doch nicht, weil jetzt wieder die Flughafenvariante Konjunktur hat?
Zeitplan des Ausbaus:
Hier ist inzwischen jede Übersicht und Glaubwürdigkeit verloren gegangen. Vor rund vier Jahren hatte
der damalige bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu einen detaillierten Zeitplan vorgestellt,
wann die Anbindung an den Flughafen umgesetzt werden soll. 2010/11 hätten laut erstem Zeitplan
die ersten Züge fahren sollen. Nachfolger Erwin Huber verschob den Zeitplan nach hinten und dessen
Nachfolgerin Emilia Müller machte es ebenso. Zwischenzeitlich wurde das bis dahin so hochgelobte
Transrapid-Projekt beerdigt. Jetzt sind Zeitpläne offenbar völlig ausgesetzt.
S-Bahn-System:
Wer München kennt, der weiß, dass dort das S-Bahn-System höchst störanfällig ist.Warum auch nicht?
Es wurde im Vorfeld der Olympiade von 1972 dem Vorort-Zugsystem aus den 30er Jahren übergestülpt.
Das System ist gnadenlos überlastet; ein Wunder schlecht hin, dass es überhaupt funktioniert.
Um das System weniger fehleranfällig zu machen, werden in München seit Jahren vor allem
zwei Entlastungsvarianten diskutiert − entweder eine zweite Stammstrecke im Tunnel unter der
Stadt oder ein Ausbau des Südrings. Beide Varianten sind auch für die Bahnstrecke ins südöstliche
Oberbayern von vitaler Bedeutung: ImFall eines zweiten Tunnels steht zu klären, ob dieser Tunnel
auch die Züge aus Südostbayern und die Transeuropa-Expresszüge aufnehmen kann − falls die doch
nicht über den Flughafen fahren sollen. Diese Frage wird vor allem dann akut, falls in München der
Hauptbahnhof umgebaut werden soll, wie ebenfalls seit Jahren in der Landeshauptstadt diskutiert wird.
Südring
in München: Auch ein Ausbau des Südrings um München− das ist die Bahnstrecke vom Ostbahnhof über die Braunauer Brücke und den alten Südbahnhof zum Hauptbahnhof − betrifft die Anbindung des südöstlichen Oberbayerns. Diese Trasse ist eng. Sie ist nicht nur die Zulaufstrecke von Zügen aus dem Münchner Hauptbahnhof in Richtung Brenner, sondern wird auch von Güterzügen aus Münchens Westen und Norden zum Brenner genutzt und zudem für Züge aus dem südöstlichen Oberbayern zum Münchner
Hauptbahnhof und eventuell auch für die gewünschten Transeuropaexpresszüge. An den Zug- und
Trassenbedarf aus dem südöstlichen Oberbayern denkt in München keiner.
Hauptbahnhof
der Zukunft: Seit einigen Jahren geistern in der Münchner Presse immer wieder Berichte über Umbaupläne
am Hauptbahnhof mit einem Investitionsvolumen von mehreren 100 Millionen bis zu einer halben
Milliarde Euro. Genährt werden diese Debatten vom Wunsch nach einer Zuteilung der Winterolympiade
2018. Man will dann einen weltstadtmäßigen Hauptbahnhof haben, so wie Berlin. Auch die Pläne
in Stuttgart, den bisherigen Kopfbahnhof für rund eine Milliarde Euro in einen Durchfahrtbahnhof
umzubauen oder der Stadt Wien, die das gleiche am Westbahnhof vorhat, speisen die Gelüste.
Markant: Sowohl Stuttgart als auch Wien liegen an der vieldiskutierten Trans-Europa-Magistrale
Paris−Budapest.
Brenner-Zulauf:
Österreich und Italien haben in Rom eine Grundsatzvereinbarung über den Bau des Tunnels unterzeichnet.
Diese Röhre soll nicht nur Straßen entlasten, sondern wird auch mehr Verkehr auf bisherige
Bahntrassen bringen. Diese Perspektive gilt für den Münchner Südring genauso wie die Strecke
zwischen München-Ost und Rosenheim. Das südöstliche Oberbayern wird indirekt betroffen.
Aus dem Chemiedreieck gibt es über Mühldorf und Wasserburg eine nichtelektrifizierte Trasse. Die
könnte für den Güterzugverkehr mit Dieseltraktion bis Rosenheim ausreichen. Die zu erwartende
Mehrbelastung der Bahnstrecken Salzburg − Traunstein − Rosenheim und München − Rosenheim
liefert Argumente für eine Stärkung der Strecke München − Mühldorf−Salzburg, zum Beispiel
über eine Aufwertung durch die Transeuropa-Magistrale, bedeutet aber auch die Gefahr durch Überlastung,
mit Blick auf zu erwartende Zuwächse im Pendler- und im Güterverkehr.
Dieselkompetenz
am Linienstern Mühldorf: Dieser Bahnknoten ist einer der größten Knoten und zugleich eine der größten
Servicestationen für den Dieselbetrieb der Deutschen Bundesbahn. Hartnäckig hält sich die Information,
zur Zeit des Kalten Krieges habe man gezielt diese Kompetenz und die Diesellokomotiven erhalten,
um in der Bahnlogistik Alternativen zu leicht zu sabotierenden Elektrostrecken zu erhalten. Als
Argument für die Einbindung der lokalen Bahnstrecken in sonst wenig zitierte Militärpläne mag der
Neubau der Jettenbacher Bahnbrücke vor gut 20 Jahren gelten. Rückblick: Wegen Baufälligkeit
durfte die alte nur noch zu Fuß überquert werden. Mit Strategie- Argumenten und -Mitteln aus dem
Militärhaushalt wurde die neue Brücke damals mitfinanziert. Der Kalte Krieg scheint passé, aber ist
die Dieselkompetenz in Mühldorf betriebswirtschaftlich vertretbar, wenn die Hauptstrecken elektrifiziert
werden?
Konkurrenz
im Ausland: Auch in Norditalien diskutiert und baut man eine Magistrale von Paris
über Mailand nach Budapest, den TAV(Treno Alto Velocità). Ob sich Europa zwei Magistralen von Paris
nach Budapest leisten werde, fragte im Spätherbst 2007 ein Münchner Journalist Bayerns damalige
Verkehrsministerin Emilia Müller und Bayerns Generalbevollmächtigten der Bahn, Klaus Dieter Josel,
in einer Pressekonferenz: Beide bekannten sich zur Unwissenheit.
Allfälliger Protest:
Wo geplant wird, gibt‘s Widerspruch und Prozesse. Gegen die Walpertskirchner Spange, in welcher Ausprägung auch immer, hat sich jüngst eine Bürgerinitiative formiert. Sie will gegen diese Bahntrasse
genauso vorgehen wie die Gegner der A 94 bei Dorfen gegen die dort geplante Autobahntrasse.
Gegen die inzwischen recht angestaubten Ausbau-Zusagen für den Abschnitt Mühldorf−Salzburg hat
sich bereits in den 90er Jahren in Kirchanschöring eine Initiative formiert. Gelegentlich treffen sich
die Aktivisten noch. − ede
DER KOMMENTAR: Etikettenschwindel zu Lasten der Region
Es sind tausende Pendler und Reisende, die werktäglich auf die über 25 Personenzugpaare
Zwischen Mühldorf und München angewiesen sind.
Und es sind tausende Tonnen Waren, die auf Güterzügen in dieser Region täglich transportiert werden. Diese Massen an Gütern und ihr rationeller Transport stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Konkurrenzfähigkeit und damit auch mit der Sicherheit der Arbeitsplätze in der Region.
Die Forderung nach einem Ausbau der Bahnverbindungen ist deshalb kein Luxus. Der Ausbau ist
Notwendigkeit. Die bisherige Bauleistung, gemessen an den Versprechen und Projekten der vergangenen
25 Jahre ist bestenfalls eine Duftnote. Aber man sollte endlich auch Augenmaß beweisen und die
wolkigen Ideen von der Magistrale zugunsten einer leistungsfähigen Pendlerbahn zum Flughafen und
nach München sowie zugunsten einer leistungsfähigen Güterbahn beerdigen.
Misst man die Versprechungen an den realen Problemen, die einem Ausbau entgegenstehen, sei es
mit Blick auf Topografie, auf technische und wirtschaftliche Überlegungen, oder auch auf die Frage,
ob Trans-Europa-Expresszüge auf der Strecke Mühldorf − München überhaupt mit dem konventionellen
Personen- und Güterverkehr kompatibel sind, sind die bisherigen Leistungen eine politische
Frechheit, ein Ausdruck des Versagens und ein Etikettenschwindel auf Kosten der Region.
Der Schwindel scheint sich fortzusetzen. Denn auch die versprochenen 140 Millionen Euro für den
Ausbau der Trasse zwischen Mühldorf und Tüssling greifen nur, wenn eine Planung rechtzeitig fertig
wird. Für die Planung allerdings sind keine Mittel eingestellt. Das hatten wir schon mal. Und das Angebot
der Industrie auf Vorfinanzierung ist immer noch unbeantwortet.
Ernst Deubelli